Es war einmal …
Wir erinnern uns: Der strenge Restaurantkritiker Anton Ego wird im Disney-Streifen „Ratatouille“ mit einem Mal streichelweich, als er einen Bissen des französischen Gemüsegerichts nimmt. Ein Flashback der besonderen Art: Denn dieses Ratatouille hat ihm auch seine Mama immer gemacht, als er mit aufgeschundenen Knien vom Radfahren nach Hause gekommen ist. Die Flasche teuren Weins, die im Film neben ihm steht – für Weinfreaks: der Cheval Blanc 1947 in Digitalversion – hat das nicht fertiggebracht. Dafür aber ein stinknormales übereinandergeschichtetes Tomaten-Zucchini-Auberginen-Potpourri, das Rémy zur kulinarisch erfolgreichsten Ratte aller Zeiten machen sollte. Aber ist das Kochen mit oder von Erinnerungen vielleicht tatsächlich das Geheimnis von erfolgreicher Gastronomie? Schnell nachgedacht: Warum ist dein Lieblingsessen dein Lieblingsessen? Erinnerung? Das beste Pa amb Oli deines Lebens in den Straßen von Barcelona, der Kranzkuchen der Großmutter. Erinnerungen.
Somos memoria: Die Summe unserer Erinnerungen macht aus, was wir sind.
Andoni Luis Aduriz über den Einfluss von Erinnerungen
Im subjektiven Feld Essen und Gastronomie ist klar, dass Emotionen, Subjektivität und Wahrnehmung eine große Rolle spielen. Aber ist das ein Werkzeug, das auch als Businessplan aufgeht? Und wie zum Teufel soll man mit Erinnerungen von Gästen arbeiten, wenn man sie gar nicht kennt? Und sie obendrauf aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen stammen? Andoni Luis Aduriz aus dem Restaurant Mugaritz in Errenteria will das zum Beispiel gar nicht. Und das, obwohl er sagt, dass wir, so wie wir heute dastehen, das Ergebnis aus der Gesamtheit unserer Erinnerungen und Erlebnisse sind. Institutionalisieren und analytisch benutzen kann und will Aduriz sie aber nicht. Ihm geht es um seine Erinnerungen beziehungsweise die Akkumulation der Erinnerungen und Denkhaltungen seines Teams. „Das, was wir machen, ist ein Vorschlag. Ein Vorschlag an Gericht, an Ambiente, an Erinnerungen. Die Verantwortung darüber, wie dieser Vorschlag beim Gast ankommt und was er damit macht, liegt aber ganz bei ihm.“ Schließlich sei auch jeder Tisch, jede Person eine eigene Welt: Jede zu einem anderen Zeitpunkt, in einer anderen Konstellation bei ihnen im Mugaritz. „Mit Erinnerungen arbeiten kann man auch nur, wenn diese authentisch sind“, sagt Gourmetkritiker Jürgen Dollase und spricht sich damit gegen die isolierte, institutionalisierte Betrachtung von Erinnerungen als Business-Tool aus. Wobei dem Restaurantkritiker beim Ausdruck „emotionale Gerichte“ zu viel Spielraum für unsachliches Wortgeplänkel bleibt: „Assoziativer Kontext – das trifft es, finde ich, besser. Es geht immer um den Kontext, in dem…
Wir erinnern uns: Der strenge Restaurantkritiker Anton Ego wird im Disney-Streifen „Ratatouille“ mit einem Mal streichelweich, als er einen Bissen des französischen Gemüsegerichts nimmt. Ein Flashback der besonderen Art: Denn dieses Ratatouille hat ihm auch seine Mama immer gemacht, als er mit aufgeschundenen Knien vom Radfahren nach Hause gekommen ist. Die Flasche teuren Weins, die im Film neben ihm steht – für Weinfreaks: der Cheval Blanc 1947 in Digitalversion – hat das nicht fertiggebracht. Dafür aber ein stinknormales übereinandergeschichtetes Tomaten-Zucchini-Auberginen-Potpourri, das Rémy zur kulinarisch erfolgreichsten Ratte aller Zeiten machen sollte. Aber ist das Kochen mit oder von Erinnerungen vielleicht tatsächlich das Geheimnis von erfolgreicher Gastronomie? Schnell nachgedacht: Warum ist dein Lieblingsessen dein Lieblingsessen? Erinnerung? Das beste Pa amb Oli deines Lebens in den Straßen von Barcelona, der Kranzkuchen der Großmutter. Erinnerungen.
Somos memoria: Die Summe unserer Erinnerungen macht aus,
was wir sind.
Andoni Luis Aduriz über den Einfluss von Erinnerungen
Im subjektiven Feld Essen und Gastronomie ist klar, dass Emotionen, Subjektivität und Wahrnehmung eine große Rolle spielen. Aber ist das ein Werkzeug, das auch als Businessplan aufgeht? Und wie zum Teufel soll man mit Erinnerungen von Gästen arbeiten, wenn man sie gar nicht kennt? Und sie obendrauf aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen stammen? Andoni Luis Aduriz aus dem Restaurant Mugaritz in Errenteria will das zum Beispiel gar nicht. Und das, obwohl er sagt, dass wir, so wie wir heute dastehen, das Ergebnis aus der Gesamtheit unserer Erinnerungen und Erlebnisse sind. Institutionalisieren und analytisch benutzen kann und will Aduriz sie aber nicht. Ihm geht es um seine Erinnerungen beziehungsweise die Akkumulation der Erinnerungen und Denkhaltungen seines Teams. „Das, was wir machen, ist ein Vorschlag. Ein Vorschlag an Gericht, an Ambiente, an Erinnerungen. Die Verantwortung darüber, wie dieser Vorschlag beim Gast ankommt und was er damit macht, liegt aber ganz bei ihm.“ Schließlich sei auch jeder Tisch, jede Person eine eigene Welt: Jede zu einem anderen Zeitpunkt, in einer anderen Konstellation bei ihnen im Mugaritz. „Mit Erinnerungen arbeiten kann man auch nur, wenn diese authentisch sind“, sagt Gourmetkritiker Jürgen Dollase und spricht sich damit gegen die isolierte, institutionalisierte Betrachtung von Erinnerungen als Business-Tool aus. Wobei dem Restaurantkritiker beim Ausdruck „emotionale Gerichte“ zu viel Spielraum für unsachliches Wortgeplänkel bleibt: „Assoziativer Kontext – das trifft es, finde ich, besser. Es geht immer um den Kontext, in dem Gerichte entstehen und gegessen werden.“ Ob es einem gefällt oder nicht, das liegt in zweiter Instanz daran, ob man in der Lage ist, das Gericht, die Erfahrung zu decodieren.
Das hängt auch stark mit dem kulturellen Hintergrund eines jeden Gastes zusammen. Francisco Migoya, Head Chef der Modernist Cuisine in Seattle, sieht das ähnlich: „Erinnerungen sind sehr persönlich. Dementsprechend ist es schwierig, diese mit jemandem zu teilen, der nicht dieselbe Erfahrung gemacht hat. Es ist leichter, Sachen zu teilen, die der kollektiven Erinnerung entstammen.“ So wie Gerichte aus der Kindheit, die als Ausgangspunkt für Neues dienen können. Wobei auch hier der räumliche Kontext nicht außer Acht gelassen werden darf. Migoya: „In Spanien ist Brot mit Schokolade, Olivenöl und Salz eine typische Kindheitsleckerei. Während ein Spanier sicher begeistert von der Interpretation ist, wird sie ein Kanadier wahrscheinlich überhaupt nicht verstehen.“
Wenn ich etwas mache, was alle verstehen,
dann mache ich etwas falsch.
J. Dollase über die Verbindung von Emotion und Verstehen
Der belgische Chocolatier Dominique Persoone nennt es die Database im Kopf, die mit Gerichten, Pralinen und Co. aktiviert wird. Oder eben nicht. Der Ansatz des belgischen Chocolatiers, der für Spitzenköche von Gert de Mangeleer bis hin zu Alex Atala Pralinen entwirft, kommt dabei selten ohne eine Prise einmaligen Persoone-Humors aus. Storytelling und Spielen mit Erinnerungen und Emotionen. Wie kommt man sonst auf die Idee, auf den Chef Days 2015 in Lederhosen im Publikum herumzuhüpfen und Apfelduft zu versprühen, während die Zuhörer in einen knallroten Schokoapfel – ja, genau in den, den Schneewittchen von der bösen Hexe bekommen hat – beißen? Oder Schokofrösche mit Lidocain, einem Nervengift vom Zahnarzt, zu überziehen? Als kleine Hommage an die highmachenden Tropenfrösche, die Persoone gemeinsam mit Atala im Amazonas gejagt hat.
Emotional geladen „Es sind immer die Gerichte, die einen in der Emotion am meisten treffen, an die man sich erinnern wird“, sagt auch Francisco Migoya. Das Schlimmste, was einem demnach passieren kann, ist emotionsloses Kochen. Es ist eben nicht bloß Handwerk. Dollase: „Die fadesten Restaurants sind jene, in denen alles glatt und irritationslos, ohne Kindheitserinnerungen oder sonstigen assoziativen Kontext auskommt.“ Seelenloses Essen schmeckt weniger. „Köche beharren immer auf ihrem Handwerk. Aber das reicht nicht. Leider verzichten viele der deutschen Sterneköche auf diese Komponente“, so Dollase. „Wenn ich etwas mache, was alle verstehen, dann mache ich etwas falsch. Das macht große Küchen aus – dass sie nicht alle verstehen.“ Verstehen und Emotionen lägen nämlich viel näher beieinander, als die meisten meinten. Zu glauben, dass ein Besucher in einem kleinen deutschen Fachwerkdorf am liebsten original italienische Garnelen mit Olivenöl und Knoblauch essen möchte, sei provinzielles Denken. „Man will doch nicht von Sylt bis München das Gleiche essen“, sagt Dollase. Heißt nicht, dass man ausschließlich auf regionale Produkte zurückgreifen soll. Aber man soll sie in den eigenen Kontext stellen. Authentisch sein, Erinnerungen ansprechen und kreieren. Daher ist es auch das Häkeldeckchen von seiner und keiner anderen Oma, die Dani García zu Croché, einer Tintenfisch-Emulsion mit Guizo-de-Choco-Spitzendecke, inspiriert hat. Ebenso wie zur modernen Deko seines nach ihm benannten 2-Sterne-Restaurants in Marbella. Modern und trotzdem findet sich das Deckchen in zahlreichen Details wieder. Persönlich und authentisch.
A priori wissen wir nie, wie die Antwort lauten wird.
Andoni Luis Aduriz über die Akzeptanz seiner Gerichte
Den Gästen gefällt es: Ob sie jetzt selbst eine Oma haben, die leidenschaftlich gerne Deckchen häkelt, oder die Hommage von Garcia einfach süß finden. Womit wir wieder bei der mentalen Database wären, wie Persoone es nennt. „Je größer diese Database, umso eher wird man das, was man isst, mit etwas in Zusammenhang bringen können.“ Was diese Database ausbaut, kann vieles sein: Reisen, Länderkultur, Essen, Probieren, Experimentieren und Andoni Luis Aduriz. Zumindest ist das der Wunsch und Anspruch des kreativen Kochs. Aduriz: „Wir wollen unser Körnchen dazu beitragen. Mein Wunsch ist es, für Leute, die in unser Restaurant kommen, die Grenzen ihrer Erinnerung zu verschieben. Sie um ein paar weitere Elemente zu erweiteren.“ Das sei die größte Freude für ihn, so der Küchenpoet.„Kreative Gäste noch kreativer machen, neugierige noch neugieriger, traditionelle noch traditioneller.“ Daher wird seine Küche auch niemals eine sein, die darauf ausgerichtet ist, zu gefallen und ausschließlich wohlfühl-orientiert sein. „Es ist eigentlich unglaublich, dass Leute noch in mein Restaurant kommen, nach alldem, was ich so sage“, lacht Aduriz. Doch vielleicht ist es genau das, was es ausmacht. Zumindest das Mugaritz. Menschen kommen und sehen es als eines der besten Restaurants der Welt an, weil hier jemand ihre Grenzen der Erinnerung etwas weiter ausdehnt. Den Pfosten des eigenen Horizonts ein bisschen weiter hinten wieder einsetzt. Auch das ist vielleicht kein guter Businessplan, der einer Prüfung in der Bank standhält. Vielleicht aber ist es der Grundkern der Gastronomie. Das, was ihre Faszination ausmacht. Der Grund, warum Köche Köche werden, Gäste essen gehen und man generell erst im Kreis einer Familie aufgenommen ist, wenn man das Essen, die familiären, kulturellen Riten des Essens miteinander geteilt hat. „Es ist kein Zufall, dass das Wort compañero, also Freund auf Spanisch, zurückzuführen ist auf das lateinische Wort cumpanis“, sagt Andoni Luis Aduriz. Das wiederum heiße übersetzt so viel wie „con pan“, also „mit Brot“ oder „die, die das Brot teilen“. Vielleicht ist das der Grund dafür, warum ein Freund oder ein neues Familienmitglied erst dann endgültig aufgenommen ist, wenn man einmal am selben Tisch gemeinsam gegessen hat“, so Aduriz.
Schließlich steckt doch in uns allen ein kleiner Anton Ego, der eigentlich nur – o. k. die Flasche Cheval Blanc nimmt zumindest mein kleiner Anton Ego auch – darauf hingewiesen werden möchte, dass er Erinnerung ist. Das gibt Halt in einer Welt der Veränderung. Ganz nach dem Motto: Wurzeln und Flügel sind es, die ein Mensch in seinem Leben braucht, um glücklich zu sein. Und wenn diese Horizonterweiterung aus neuen und alten Erinnerungen dann auch noch satt macht (Grundbedürfnis) und schmeckt – dann ist daran doch auch nichts verkehrt. Oder? Andoni Luis Aduriz drückt es so aus: „Der Essenstisch ist die Eingangstür zu unserem Innersten und Persönlichsten: unserer Kultur, unseren Erinnerungen. Und der Ort, an dem sich ein wichtiger Teil unserer kollektiven Erinnerung konstruiert.“ Waldspaziergang als Amuse-Gueule, essbare Ideen und die Spitzendecke der Großmutter auf eine Tintenfisch-Emulsion gesetzt: Ja, bitte und danke an die Kochwelt, dass sie ihre Erinnerungen und Denkansätze mit uns teilt. Essen ist Erinnerung. Genau wie wir selbst.
Ich habe die Häkeldecke von meiner Oma zum gestaltenden Element gemacht
Dani García über Optik im Restaurant und in seinen Gerichten