Auf ein Bier mit: Tim Raue

Tim Raue gehört zu den international erfolgreichsten Starköchen Deutschlands. Warum Expansion die beste Mitarbeiterförderung ist – und in seinem 2-Sterne-Flagship nun doch ein veganes Menü serviert wird.
Februar 26, 2020 | Text: Lucas Palm | Fotos: Raphael Gabauer, Joerg Lehmann

Deutsches Aushängeschild

Sein Sternerestaurant findet sich als bestplatziertes deutsches auf der prestigeträchtigen Liste der World’s 50 Best Restaurants, er selbst ist der einzige deutsche Küchenkapazunder, der als Protagonist der Netflix-Serie Chef’s ­Table internationale Foodies begeisterte. Im Exklusivinterview zeigt sich Tim Raue überzeugt davon, dass Deutschland die Grenzen öffnen muss – und verrät, warum er beim Aufwachen erst einmal „Scheiße!“ denkt. 

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Mit seinen asiatisch inspirierten Gerichten gilt er heute weit über die Landesgrenzen hinaus als genialer Herdtüftler, der die deutsche Spitzengastronomie wie kein zweiter internationalisiert hat.

Tim, du hast dich über die Jahre vom kreativen Starkoch hin zum unternehmerischen Multigastronomen entwickelt. Wie durchlebt man diesen Weg? Wie bringst du diese beiden unterschiedlichen Welten zusammen? 
Tim Raue: Diesen Weg bin ich ursprünglich nicht bewusst gegangen. Es war 2005 oder 2006, als ich bemerkte: Ich habe Leute an meiner Seite, damals noch im Swissôtel, die jetzt vielleicht noch Sous Chefs sind, aber früher oder später einfach Küchenchefs werden müssen. Und bevor ich sie in die Freiheit entlassen hätte, fragte ich mich: Wie machen es die, die richtig gut sind, also Robuchon, Ducasse und Co.? Die haben tatsächlich im Laufe ihrer Karriere andere Restaurants eröffnet. Nicht, weil sie unbedingt wollten, sondern weil sie die Menschen, sprich: das Personal dafür hatten. 

Deutsches Aushängeschild

Sein Sternerestaurant findet sich als bestplatziertes deutsches auf der prestigeträchtigen Liste der World’s 50 Best Restaurants, er selbst ist der einzige deutsche Küchenkapazunder, der als Protagonist der Netflix-Serie Chef’s ­Table internationale Foodies begeisterte. Im Exklusivinterview zeigt sich Tim Raue überzeugt davon, dass Deutschland die Grenzen öffnen muss – und verrät, warum er beim Aufwachen erst einmal „Scheiße!“ denkt.

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Mit seinen asiatisch inspirierten Gerichten gilt er heute weit über die Landesgrenzen hinaus als genialer Herdtüftler, der die deutsche Spitzengastronomie wie kein zweiter internationalisiert hat.

Tim, du hast dich über die Jahre vom kreativen Starkoch hin zum unternehmerischen Multigastronomen entwickelt. Wie durchlebt man diesen Weg? Wie bringst du diese beiden unterschiedlichen Welten zusammen? 
Tim Raue: Diesen Weg bin ich ursprünglich nicht bewusst gegangen. Es war 2005 oder 2006, als ich bemerkte: Ich habe Leute an meiner Seite, damals noch im Swissôtel, die jetzt vielleicht noch Sous Chefs sind, aber früher oder später einfach Küchenchefs werden müssen. Und bevor ich sie in die Freiheit entlassen hätte, fragte ich mich: Wie machen es die, die richtig gut sind, also Robuchon, Ducasse und Co.? Die haben tatsächlich im Laufe ihrer Karriere andere Restaurants eröffnet. Nicht, weil sie unbedingt wollten, sondern weil sie die Menschen, sprich: das Personal dafür hatten.

Wir müssen die Grenzen aufmachen. Wir müssen Menschen ins Land holen, für die Gastronomie noch ein toller Job ist!

Tim Raue plädiert für radikale Maßnahmen, um dem Fachkräftemangel Einhalt zu gebieten

Klingt so, als hättest du Mitarbeiter im Überfluss. Fachkräftemangel ist bei Tim Raue kein Thema?
Raue: Doch, doch. Der Fachkräftemangel ist brutal. Und ich sehe tatsächlich nur eine Möglichkeit: Wir müssen die Grenzen aufmachen. Wir müssen Menschen ins Land holen, für die Gastronomie noch ein toller Job ist. Ihnen Voraussetzungen bieten, in denen sie gerne arbeiten. Wir müssen Anreize schaffen, und wir müssen jungen Menschen auch einfach zeigen, wie toll dieser Job ist! Dass du auf der ganzen Welt arbeiten kannst, dass du dir nie Gedanken zu machen brauchst über Arbeitslosigkeit, dass du jeden Tag Feedback von den Menschen bekommst – und zwar meistens positives! In anderen Branchen sitzen Leute teilweise Wochen im Büro und warten nur, bis der Chef einmal sagt: „Oh, gut gemacht!“ Bei uns kriegst du das 30 Mal am Tag, wenn du es wirklich willst. 

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Fordernder Förderer: Tim Raue treibt seine Mitarbeiter zu Höchstleistungen an – nicht zuletzt, indem er expandiert. Sein Ziel: sich um das Konzeptuelle und die Kulinarik zu kümmern – und dabei ganz in seiner Rolle als Mentor aufzugehen.

Deine Expansionsprojekte besetzt du, wie du vorhin sagtest, mit deinen Mitarbeitern. Könnte man sagen: Expansion ist die beste Mitarbeiterförderung?
Raue: Die entscheidende Frage lautet doch: Wie gehe ich mit meinen Mitarbeitern um? Wie führe ich sie? Wie lasse ich sie wachsen? Wie viel Verantwortung überlasse ich ihnen? Das war für mich immer elementar. Ich möchte, dass die Menschen, die bei mir arbeiten, nicht nur besser kochen lernen oder besser am Gast sind, sondern, dass sie auch immer mehr Verantwortung übernehmen und ich mich mehr und mehr zurückziehen kann, um meine Rolle als Mentor wahrzunehmen. Schlussendlich möchte ich mich auf das Konzeptuelle und die Kulinarik konzentrieren – einfach weil ich glaube, dass ich da immer noch am besten bin.

Du hast im Jahr 2017 einmal gesagt, du würdest nie für Veganer kochen. Seit September 2019 gibt es in deinem Restaurant Tim Raue ein veganes Menü.
Raue: Das Schöne ist doch: Dank Franz Beckenbauer können wir heute sagen, was wir wollen – und morgen hat es nichts mehr zu bedeuten. 

Ich stehe morgens nicht auf und halte mich für die geilste Sau.

Für Tim Raue gilt: Disziplin, Demut und Fleiß sind die Tugenden – und zwar gleichermaßen für den unternehmerischen Gastronomen wie für den kreativen Sternekoch

Dennoch: Was hat sich getan?
Raue: Es stimmt, ich habe mich lange gegen veganes Kochen und veganes Essen gewehrt. Irgendwann habe ich mich überzeugen lassen, eine vegane Diät zu machen, weil ich körperliche Beschwerden hatte. Da habe ich gemerkt, dass es mir geholfen hat. Heute mache ich das zwei, drei Tage in der Woche – und mir geht’s besser! Ich hab abgenommen, ich bin fitter und im Kopf einfach klarer. Außerdem bin ich ja auch lernfährig. Im Rahmen eines Pop-ups hatten wir eine Klientel, die so zwischen 18 und 35 war. Da habe ich festgestellt, dass davon circa 50 Prozent vegan, 30 vegetarisch und 20 Prozent Burger essen. Das hat mir vor Augen geführt, was die kommende Generation will – und dass man daran nicht vorbeikommt. 

 

Worin bestehen die Herausforderungen, in einem Sternerestaurant vegan zu kochen?
Raue: Auf jeden Fall Lebensmittel zu finden, bei denen ich keine geschmacklichen Kompromisse eingehen muss. Ich spreche nicht von Gemüse oder von Obst. Sondern beispielsweise von Butter. Wie kann ich, der circa fünf Kilogramm geklärte Butter am Tag in seinem Hauptrestaurant verkocht, Butter auf vegane Art ersetzen? Es hat tatsächlich Monate gedauert, bis wir ein Produkt aus Pakistan gefunden haben, das eine Art veganer Butterschmalz ist. Der hatte dann auch tatsächlich den Geschmack, den wir haben wollten, natürlich und ohne künstliche Zusätze. Das müssen wir jetzt über London importieren. Unsere zweitwichtigste Zutat ist eine Fischsauce, die wir selbst kochen, mit Chili, Knoblauch und Essig, das ist unser Salz im Restaurant. Dazu mussten wir Banane verrotten lassen, Jackfruits und Tomaten fermentieren und ein Rezept finden, das geschmacklich ganz nah dran ist. 

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Fuck off! Tim Raue lässt sich von seinem Geschwätz von gestern nicht einschränken: Obwohl er 2017 noch über veganes Essen geschimpft hat, gibt es heute im Restaurant Tim Raue ein veganes Menü.

Du sagtest einmal: Jedes deiner Restaurants muss sich rentieren. Es sei irrsinnig zu glauben, du hättest deine casual Konzepte nur, um dein Sternerestaurant zu finanzieren.
Raue: Immer. Es geht darum, dass jeder Betrieb für sich genommen finanziell und operativ Gewinn macht. Jeder Betrieb muss einfach für sich funktionieren. Wenn er sich nicht rechnet, dann wird er geschlossen. Das kann passieren. Das passiert uns allen. Ich kenne niemanden unter meinen tollen Kollegen, der nicht schon einen Laden dichtmachen musste.

Die Villa Kellermann wird höchstwahrscheinlich das letzte Restaurant sein, das ich aufgemacht habe.

Wird Tim Raue in Zukunft leiser treten?

Es kann an 500 Metern liegen, die der Standort vom richtigen entfernt ist, an den Mitarbeitern, was auch immer … Bei den Deutschen hört man dann immer: „Ha, ha, ha, der hat wieder ein Restaurant zusperren müssen!“ Dabei geht’s doch darum im Leben! Wenn du nicht aus den Fehlern lernst, dann denkst du auch irgendwann, du kannst über alle schweben. Deswegen: immer schön bescheiden, demütig und fleißig bleiben. Ich stehe nicht morgens auf, halte mich für die geilste Sau, schaue in den Spiegel und sage: „Boah, Raue, bist du geil, du hast zehn Läden!“ Ich stehe auf, denke erst einmal „Scheiße!“, checke meine E-Mails und gehe ans Telefon, um mit den Leuten zu besprechen, wo wir was optimieren können.

Dein neuestes Projekt ist die Villa Kellermann in Potsdam. Was kommt als Nächstes?
Raue: Ich muss immer aufpassen, wenn ich sage: „Es reicht jetzt!“ Aber die Villa Kellermann wird höchstwahrscheinlich das letzte Restaurant sein, das ich aufgemacht habe. Ich hab mit Günther Jauch einen fantastischen Partner, der einen unfassbaren Platz geschaffen hat, wo du glaubst, du kommst zur reichen Großtante zum Wochenende zu Besuch. Mir hat ein Restaurant mit einer echten deutschen Küche einfach gefehlt. Klar, ich werde in Zukunft mit Sicherheit noch Konzepte machen, aber ich möchte keine Restaurants mehr auf die Beine stellen, in denen ich direkt verbandelt bin oder herumeiern muss. Weil eins ist natürlich klar: Das kostet unfassbar viel Kraft, und da habe ich in den letzten Jahren ordentlich gegeben. Jetzt ist es Zeit, einmal einen halben Schritt zurückzugehen. 

Hier geht’s zum Peking-Ente-Rezept von Tim Raue!

www.tim-raue.com 

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