Provokation auf dem Teller: Wenn Genuss unbequem wird

Wie Köche mit radikalen Ideen über Klima, Ethik und Identität diskutieren – und warum Provokation auf dem Teller zum Werkzeug für Wandel wird.
November 11, 2025 | Text: Redaktion | Fotos: Joey Kennedy / Briana Balducci / Jenny Dorsey / Moving Stills / The Alchemist

Wie Köche mit radikalen Ideen über Klima, Ethik und Identität diskutieren – und warum Ekel manchmal mehr bewirkt als Appelle.

Oft nutzen Köchinnen und Köche ihre Arbeit, um Gutes zu bewirken – mit regionalen Zutaten, fairen Lieferketten oder nachhaltigen Konzepten. Doch ein Mittel sorgt verlässlich für Aufmerksamkeit: Provokation.

Immer mehr Spitzenköche nutzen ihre Menüs, um gesellschaftliche Themen greifbar zu machen. Der Teller wird zur Bühne – für Fragen nach Ethik, Verantwortung, Klima oder Identität. Was früher nur Kunstinstallationen vorbehalten war, passiert heute in Spitzenrestaurants. Und manchmal wird Genuss zur Zumutung – mit Absicht.

Wie Köche mit radikalen Ideen über Klima, Ethik und Identität diskutieren – und warum Ekel manchmal mehr bewirkt als Appelle.

Oft nutzen Köchinnen und Köche ihre Arbeit, um Gutes zu bewirken – mit regionalen Zutaten, fairen Lieferketten oder nachhaltigen Konzepten. Doch ein Mittel sorgt verlässlich für Aufmerksamkeit: Provokation.

Immer mehr Spitzenköche nutzen ihre Menüs, um gesellschaftliche Themen greifbar zu machen. Der Teller wird zur Bühne – für Fragen nach Ethik, Verantwortung, Klima oder Identität. Was früher nur Kunstinstallationen vorbehalten war, passiert heute in Spitzenrestaurants. Und manchmal wird Genuss zur Zumutung – mit Absicht.

Tunde Wey: Wenn Gerechtigkeit serviert wird

Der nigerianische Koch und Autor Tunde Wey nutzt Essen, um gesellschaftliche Ungleichheiten sichtbar zu machen – ohne Schockbilder, aber mit scharfer Symbolik.

In New Orleans eröffnete er den Essens-Stand Saartj, an dem weiße Gäste zweieinhalb Mal so viel zahlen mussten wie People of Color – eine Zahl, die auf dem realen Einkommensgefälle der Stadt basierte. Der Erlös wurde an People of Color verteilt.

In Nashville inszenierte er ein weiteres Pop-up: “H’t Chicken Sh*t“ – benannt nach dem berühmten Gericht Hot Chicken. Hier aßen schwarze Gäste gratis, während Weiße bis zu 1.000 Dollar für ein Menü zahlen konnten – oder alternativ eine Immobilienurkunde spenden, um auf Gentrifizierung aufmerksam zu machen.

Weys Dinners sind keine Show, sondern sozialpolitische Experimente, die die Machtverhältnisse auf den Kopf stellen. Seine Tische sind Diskussionsräume über Privilegien, Ungleichheit und Verantwortung.

Tunde Wey setzt sich gegen Ungerechtigkeit ein | Foto: Joey Kennedy
Tunde Wey setzt sich gegen Ungerechtigkeit ein | Foto: Joey Kennedy

Jenny Dorsey: Scham, Identität und die Kunst, anders zu sein

Die chinesisch-amerikanische Köchin, Künstlerin und Aktivistin Jenny Dorsey provoziert mit Emotionalität statt Ekel. In ihrer experimentellen Dinner-Reihe Asian in America verbindet sie Performancekunst und Aktivismus.

Jenny Dorsey über Identität und Kultur | Foto: Briana Balducci
Jenny Dorsey über Identität und Kultur | Foto: Briana Balducci

Ihr Gericht “Hello, My Name Is: Disgusting“ besteht aus Süßwasseraal, Knoblauch, Schnittlauch, Austernlake, Süßkartoffel und cremiger Entenzunge – serviert in einem weißen Pilz (Schneeohr) und getoppt mit Mehlwürmern. Das Gericht steht für das Schamgefühl ihrer Kindheit und Jugend, als sie in den USA für ihre chinesischen Lieblingsgerichte verspottet wurde.

Gericht "Hello, My Name Is: Disgusting" von Jenny Dorsey | Foto: Jenny Dorsey
Gericht «Hello, My Name Is: Disgusting» von Jenny Dorsey | Foto: Jenny Dorsey

Dorsey ist Gründerin von Studio ATAO (All Together At Once), einem Community-basierten Think Tank, der sich mit den Schnittstellen zwischen Gesellschaft, Politik und sozialer Gerechtigkeit beschäftigt.Ihr Ziel: durch Wissenstransfer Systemveränderungen anstoßen – insbesondere in der Food- und Medienbranche.

Sie kritisiert offen das System, das sie selbst groß gemacht hat: eine Branche, die Kunst oft über Menschen stellt. Ihre Arbeiten sind Plädoyers für Menschlichkeit, Fairness und Selbstakzeptanz.

Rasmus Munk: Schockierend ehrlich – für den guten Zweck

Der dänische Koch Rasmus Munk vom Restaurant The Alchemist in Kopenhagen gilt als einer der progressivsten Köche Europas. Seine Gerichte sind mehr als kulinarische Erlebnisse – sie sind gesellschaftliche Statements.

Rasmus Munk provoziert gerne – für den guten Zweck | Foto: Moving Stills
Rasmus Munk provoziert gerne – für den guten Zweck | Foto: Moving Stills

Ein ikonisches Beispiel: Ein halber Schädel mit einem elegant drapierten Würfel Foie gras im Inneren. Das Gericht ist eine Hommage an den spanischen Bauern Eduardo Sousa, der eine natürliche Methode fand, bei der Gänse sich freiwillig überfressen – ohne Zwangsfütterung.

Food for Thought | Foto: Rasmus Munk
Food for Thought | Foto: The Alchemist

Munks 50-Erlebnisse-Menü trägt den Titel “Food for Thought“ – Jedes Gericht ist ein Denkanstoß. So verwandelt sich die Kuppel seines Restaurants in eine Unterwasserwelt, in der Plastikmüll zwischen Quallen schwebt. Dazu serviert Munk das Gericht Plastic Fantastic – aus Kabeljauknochen, Knochenmark und dehydrierter Haut, die täuschend echt wie Plastik aussieht. Serviert wird auf einem Plastikteller – als Mahnung, dass der Müll auf die eine oder andere Weise zu uns zurückkehrt.

Provokation wird hier zum Werkzeug: Wer Unbehagen spürt, denkt länger über Verantwortung nach als bei jedem Nachhaltigkeitsposter.

Provokation als Werkzeug

Ob Rasmus Munk, Tunde Wey oder Jenny Dorsey – sie alle zeigen: Essen ist mehr als Geschmack.
Ein Gericht kann erschüttern, aufrütteln, zum Nachdenken anregen – und dabei verändern, wie wir über Konsum, Gerechtigkeit oder Identität sprechen.

Provokation ist hier kein Selbstzweck, sondern eine Form des Engagements: Sie erzeugt Reibung, wo Gleichgüligkeit herrscht, macht sichtbar, was wir sonst verdrängen und verbindet Ethik, Emotion und Ästhetik. 

Manchmal muss man eben aus der Komfortzone raus – auch beim Essen. Denn wirklicher Genuss entsteht nicht nur auf der Zunge, sondern im Kopf.

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