Die Rückkehr des skandalösesten Würzmittels

Den einen ist es bekannt als Glutamat, andere können mit dem Begriff «MSG» mehr anfangen. Das von allen Seiten kritisierte Würzmittel wurde vor allem in den Neunzigern und Zweitausendern regelrecht durch den Dreck gezogen. Es mache süchtig, fettleibig und würde den Geschmack eines Gerichts verfälschen.

Besonders die beliebten Asia-Imbisse standen unter heftiger Kritik, Glutamat unter alle möglichen Speisen zu mischen, um ihre Konsumenten abhängig zu machen. Immerhin schmeckt mit Glutamat alles «besser» – intensiver und mehr umami – und das lieben wir. 

Doch war diese Kritik vor zwanzig, dreißig Jahren berechtigt? Viele moderne Köche sind der Meinung: Nein!

Besonders auf TikTok erlebt MSG momentan ein Hoch und wird in Rezepten eingesetzt wie Salz oder Pfeffer. Ist das das Comeback eines der verpöntesten Lebensmittel?

Es passt zu Fleisch, Fisch, Saucen, Suppen, Eintöpfen – die Liste könnte ewig so weitergehen.

Wenn wir von Glutamat sprechen, meinen wir Glutaminsäure mit ihren Salzen, die in der Natur Baustein für Proteine ist und in allen Lebewesen vorkommt. Ja, auch in dir und mir!

Auch eiweißhaltige Lebensmittel wie Soja, Hefe, Käse oder gar Tomaten enthalten von Natur aus Glutaminsäure. 

Das Produkt selbst enthält kaum Eigengeschmack, verstärkt aber den Geschmack salziger Speisen. Genau aus diesem Grund wird MSG gerne in der Lebensmittelindustrie (in Tütensuppen oder Snacks beispielsweise) verwendet oder in oben genannte Gerichte beigemischt.

Dieses Glutamat ist synthetisch hergestellt und muss als «E 620-625» gekennzeichnet werden. 

So, nun hätten wir die Basisinfos geklärt. Klingt doch ähnlich wie jedes andere Gewürz, nur dass es künstlich hergestellt wird: Es verbessert den Geschmack eines «langweiligen» Gerichts bzw. intensiviert ihn. Gleich wie Salz, Pfeffer, Muskat, Kräuter und Co. 

Die Hexenjagd 

Was hat nun den großen Hass auf Glutamat ausgelöst?

Bereits in den Sechzigern veröffentlichte ein amerikanischer Arzt ein Dokument, in dem er Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen bei Patient:innen als Folge des Glutamat-Konsums diagnostizierte.

Er betitelte es als «Chinese Restaurant Syndrom».

Die Folge: ein rassistisch motivierter Boykott asiatischer Speisen und Lebensmittel. Tja, was erwartet man sich sonst vom Amerika der Sechziger? Von da an musste Glutamat immer mit einem schlechten Ruf kämpfen. 

Wissenschaftler:innen warnten in dieser Zeit auch davor, dass Glutamat Alzheimer oder Parkinson begünstige. Der Lebensmittelindustrie-Kritiker Hans-Ulrich Grimm sagte dazu einmal: «Seit 1969 ist bekannt, dass Glutamat neurotoxisch wirkt und Hirnzellen töten kann.»

Warum das Würzmittel außerdem verabscheut wird: Es soll der Auslöser für Übergewicht sein.

Für Aufsehen sorgte hier eine Studie im Jahr 2008 mit 750 Menschen aus China. Forscher der Universität North Carolina fanden heraus, dass die Probanden, die viel Glutamat verwendeten, mehr Gewicht auf die Waage brachten als jene, die mit dem Produkt sparsam umgingen. Doch für eine Bestätigung der Hypothese wären weitere Studien notwendig.

Was aber tatsächlich gesagt werden kann: Glutamat greift massiv in die Appetitregulation ein. Beim Verzehr entsteht eine neurologische Störung, die die natürliche Sättigungsregulation zusammenbrechen lässt. Die Folge: Überfressen. 

Wer also wenig Selbstbeherrschung besitzt und jeden Tag Glutamat konsumiert, könnte auf einen längeren Zeitraum gesehen zunehmen – aber nicht wegen des Glutamats selbst, sondern weil man sich schlicht und einfach täglich überisst. 

Das Glutamatskandal

Besonders in der Gourmet-Küche wurde das Würzmittel Anfang der 200er stark verpönt – es würde den Geschmack verfälschen und nicht das wahre Können eines Spitzenkochs zeigen.

2003 schockierte der renommierte Sternekoch Jean-Claude Bourgueil die kulinarische Welt. Er gab offen zu Glutamat zu verwenden und wurde daraufhin aus dem Gault-Millau-Restaurantführer verbannt.

Seine damalige Reaktion: «Ich bin Handwerker und benutze daher alle zur Verfügung stehenden Gewürze.»

Dem fügte er hinzu: „Glutamat ist kein Geschmacksverstärker”, so Bourgueil, „Salz und Zucker, das sind Geschmacksverstärker. In Frankreich wird Glutamat wie selbstverständlich benutzt, nur in Deutschland macht man so ein Aufsehen davon.” 

Das Revival

Und nun kommt die Kehrtwende.

In Zeiten von TikTok und Instagram, wo Nutzer:innen nur so mit Rezepten um sich werfen, kommt MSG immer öfter zum Einsatz. Hobbyköch:innen teilen Rezept-Inspirationen und regen ihre Follower an, das Würzmittel zu verwenden. 

@weareomsom Here are all the ways we love to use #MSG ✨ #iykyk ♬ original sound – Omsom

@sanacktime MSG Brined Fried Chicken 🐔 If you’re still not rocking with MSG in 2022 just say you’re problematic and keep it pushing #friedchicken #superbowlliv #gamedayrecipes #foodtiktok ♬ original sound – Sanack Time

MSG-Rezeptideen wie diese gibt es unter dem Hashtag #msgrecipe wie Sand am Meer.

Aber auch Profi-Köche und Food-Experten greifen heutzutage wieder vermehrt auf den umstrittenen Geschmacksverstärker zurück und werben stolz damit.

Ein Paradebeispiel: Das Restaurant Bonnie’s aus New York wurde 2023 zu einer der besten Neueröffnungen der Metropole ernannt und kocht ganz offen mit Glutamat. 

Und auch die Profis teilen online ihre MSG-Tipps. Hier ein Beispiel: 

@ziangsfoodworkshop Replying to @SJH of youve always wondered how to use MSG then here are some rules to go by, now each chef well have their own opinion on it and even I dont stick hard and fast to this rule, but tongo through every dish would be boaring as hell #foodtok #chef #kitchenhacks #monosodiumglutamate #msg ♬ Good Vibes – Rerewrpd

Glutamat scheint also langsam wieder im Kommen zu sein.

Ob in der Zukunft bei Rezepten neben einer Prise Salz und einem Teelöffel Pfeffer zwei Prisen MSG stehen werden, ist jedoch fraglich. Angst braucht man davor auf jeden Fall nicht zu haben.

Was aber gilt – wie bei fast allen anderen Dingen im Leben: in Maßen genießen.