Ekel als Kulturprodukt: Wie Nahrungstabus entstehen und warum sie bleiben
Ein Schweinebraten am Sonntag ist für manche Menschen ein kulinarisches Highlight, für andere jedoch ein absoluter Tabubruch. Während einige Familien Hühnerfüße genießen, empfinden andere schon beim Gedanken daran Unbehagen – greifen im selben Atemzug aber bedenkenlos zu Chicken Nuggets. Diese Unterschiede wirken oft willkürlich, doch woher kommen sie?

Ein Schweinebraten am Sonntag ist für manche Menschen ein kulinarisches Highlight, für andere jedoch ein absoluter Tabubruch. Während einige Familien Hühnerfüße genießen, empfinden andere schon beim Gedanken daran Unbehagen – greifen im selben Atemzug aber bedenkenlos zu Chicken Nuggets. Diese Unterschiede wirken oft willkürlich, doch woher kommen sie?

Die Wurzel allen Übels: Das Nahrungstabu
Nahrungstabus sind meist unausgesprochene Regeln, die festlegen, welche Tiere, Pflanzen oder Lebensmittel nicht gegessen werden.
Sie sind selten biologisch motiviert, sondern werden sozial und kulturell weitergegeben. Für Außenstehende erscheinen sie häufig rätselhaft, da es kein universelles Tabu gibt.
Besonders häufig betreffen Tabus Fleisch, manchmal auch Pflanzen – wie die Bohnen im antiken Griechenland, der man magische oder gefährliche Eigenschaften zuschrieb.
Wie entstehen Tabus?
Anthropologen haben verschiedene Erklärungsmodelle entwickelt. Einige betrachten Tabus als ökologisch oder ökonomisch sinnvolle Anpassungen an regionale Gegebenheiten. Der US-Anthropologe Marvin Harris argumentierte etwa, dass Indiens “heilige Kuh” vor allem deshalb unantastbar wurde, weil sie als Zugtier, Milchlieferant und Dungproduzent einen höheren Nutzen hatte als ihre Verwertung als Fleisch.
Andere Ansätze betonen den sozialen Charakter: Tabus dienen der Abgrenzung von anderen Gruppen und stärken die eigene Identität.
Wieder andere sehen in ihnen symbolische Ordnungssysteme, die Lebensmittel in Kategorien wie rein und unrein einteilen.
Ein weiterer Ansatz erklärt Tabus über die Evolution des Ekels – als Schutzmechanismus vor potenziell gefährlicher Nahrung.
Und schließlich gibt es die moralische Deutung: Tiere stehen sinnbildlich für Vorstellungen sozialen Zusammenlebens, weshalb das Essen bestimmter Arten moralisch abgelehnt wird.
Keiner dieser Ansätze ist allein ausreichend. Nahrungstabus entstehen an der Schnittstelle von Ökologie, Moral, Geschichte, Religion und sozialem Gefühl.
Religion und verbreitete Tabus
Einige der bekanntesten Tabus sind religiöser Natur. Im Hinduismus gelten Kühe als heilig. Ihre Schlachtung ist in vielen Regionen Indiens gesetzlich eingeschränkt.

Im Judentum und im Islam ist Schweinefleisch klar verboten, wobei die Begründungen in den heiligen Schriften verankert sind.

Pferdefleisch wiederum wurde in Europa lange kirchlich geächtet – weniger aus spirituellen Gründen, sondern weil Pferde als wertvolle Arbeits- und Kriegstiere galten. Heute gilt Pferdefleisch auch hierzulande als Spezialität.
Hund, Katze, Meerschweinchen: Kulturelle Identität auf dem Teller
Das Verhältnis zu Tieren zeigt besonders deutlich, wie kulturell geprägt Ekel ist. Hunde gelten in Europa als emotionale Gefährten, während sie in Teilen Ozeaniens historisch als Nahrungsquelle dienten – schlicht weil es dort kaum andere tierische Proteine gab.
Auch Katzen wurden in Europa kaum gegessen: Sie waren als Mäusejäger nützlicher als als Fleischlieferanten. Meerschweinchen dagegen sind in den Anden seit Jahrtausenden ein alltägliches Nahrungsmittel, während sie in Europa als Haustiere niemals gegessen wurden.
Selbst Singvögel, heute nördlich der Alpen unvorstellbar, standen früher in Mitteleuropa auf dem Speiseplan, bis Natur- und Tierschutzgedanken überwogen.
Auch der Blick auf Insekten zeigt kulturelle Prägung: In Asien, Afrika und Lateinamerika gehören sie teilweise selbstverständlich zur Ernährung, während ihr Verzehr in Europa nicht normal ist – obwohl Menschen hier einst ebenfalls Insekten aßen.

Wandelbarkeit von Tabus
Nahrungstabus sind keineswegs starr. Sie verändern sich mit gesellschaftlichen Normen, Technologien, wirtschaftlichen Bedingungen und moralischen Entwicklungen. Sushi war in Europa einst unvorstellbar, heute ist es Alltag. Insekten könnten angesichts ökologischer Herausforderungen ähnliche Wege gehen. Ebenso verschwinden Tabus, wenn ihre Gründe wegfallen – wie bei Singvögeln in Europa, deren Schutz gesellschaftlich wichtiger wurde als ihr Nutzen als Nahrungsmittel.