Almost Little Buddha

Tim Raue hat ihn Asien gelehrt, Bobby Bräuer ihm den Franzosen vorgemacht. Alles Schnurzegal. als Küchenchef des Petit Tirolia geht Steve karlsch gelassen ganz eigene Wege.<br />
November 13, 2015

Steve Karlsch
Fotos: Stephanie Fuchs, Fotos: Mike Krueger

Es gibt Fragen, die einem so sehr auf der Zunge brennen, dass sie manierliche Begrüßungsrituale verdrängen und sich noch vor dem obligaten „Hallo!“ ihren Weg aus der Mundhöhle in die Freiheit bahnen. In Steve Karlschs Fall lautet sie so: „Du warst Küchenchef von Tim Raue! Wie zum Teufel hast du das überlebt?“ Immerhin eilt dem sternegekrönten Berliner Asiaküchen-Whiz-Kid nicht gerade der Ruf des großen Diplomaten voraus. Und immerhin hat Steve Karlsch, heute 32 und seit 2012 Kulinarik-Grandmaster des Hotels Grand Tirolia in Kitzbühel, ganze acht Jahre lang durchgehend an Raues Seite gestanden. Wer sich an dieser Stelle (zu Recht) ein paar lustig-haarsträubende Anekdoten aus Aladdins Wurschtkessel erwartet, der wird (ebenso zu Recht) enttäuscht. Dafür wird Karlschs Antwort von einem belustigten, versöhnlichen Schmunzeln begleitet. „Vieles, was da über Tims Tyrannentum kolportiert wurde, ist schlichtweg falsch. Klar hab ich anfangs auch mal geschluckt, aber man darf nicht vergessen, dass Druck manchmal ein sensationeller Motivator ist. Und über die Jahre haben sich die deftigen Sprüche auch gelegt. Heute ist Tim ja schon fast…

Steve Karlsch
Fotos: Stephanie Fuchs, Fotos: Mike Krueger

Es gibt Fragen, die einem so sehr auf der Zunge brennen, dass sie manierliche Begrüßungsrituale verdrängen und sich noch vor dem obligaten „Hallo!“ ihren Weg aus der Mundhöhle in die Freiheit bahnen. In Steve Karlschs Fall lautet sie so: „Du warst Küchenchef von Tim Raue! Wie zum Teufel hast du das überlebt?“ Immerhin eilt dem sternegekrönten Berliner Asiaküchen-Whiz-Kid nicht gerade der Ruf des großen Diplomaten voraus. Und immerhin hat Steve Karlsch, heute 32 und seit 2012 Kulinarik-Grandmaster des Hotels Grand Tirolia in Kitzbühel, ganze acht Jahre lang durchgehend an Raues Seite gestanden. Wer sich an dieser Stelle (zu Recht) ein paar lustig-haarsträubende Anekdoten aus Aladdins Wurschtkessel erwartet, der wird (ebenso zu Recht) enttäuscht. Dafür wird Karlschs Antwort von einem belustigten, versöhnlichen Schmunzeln begleitet. „Vieles, was da über Tims Tyrannentum kolportiert wurde, ist schlichtweg falsch. Klar hab ich anfangs auch mal geschluckt, aber man darf nicht vergessen, dass Druck manchmal ein sensationeller Motivator ist. Und über die Jahre haben sich die deftigen Sprüche auch gelegt. Heute ist Tim ja schon fast preußisch korrekt!“ Dass er immer noch und immer wieder auf seine Vergangenheit bei Raue, der Karlsch 2004 von Kempinski ins Berliner Swissôtel holte und bis zu dessen Wechsel nach Tirol nicht mehr ziehen ließ, angesprochen wird, sieht Karlsch gelassen. Ebenso übrigens wie die Tatsache, dass es wohl keinen Journalisten auf diesem Planeten gibt, der an die Frage nach Raue nicht auch gleich die nach Bobby Bräuer angehängt hat. „Aber ich kann das verstehen, war ja auch ein großes Ding“, sagt Karlsch. Kaum ein Abgang hat die Gourmetszene der Alpenrebublik so sehr überrascht wie jener des bajuwarischen Kochsuperstars. 18 Punkte, drei Gault-Millau-Hauben und den Titel „Koch des Jahres“ hielt Bräuer vor seinem Wechsel in die BMW-Welt. Die genauen Hintergründe der Bräuer’schen Rückkehr in die Heimat bieten nach wie vor viel Raum für Spekulationen. Für Karlsch bot Bräuers Abgang vor allem eines: die Chance, auf die er gewartet hatte. „Klar wollte ich was Eigenes auf die Beine stellen irgendwann, nur bestand der Plan eigentlich eher darin, nach Asien zu gehen“, sagt Karlsch. „Die Sache war nur die: Die Asiaten interessiert nicht nur, ob du gut kochen kannst, die interessieren auch Zahlen. Und in dem Bereich hatte ich einfach noch nicht genug Erfahrung.“ Als Gerüchte rund um Bräuers Wechsel durchsickerten, „kam Tim in die Küche und meinte: ‚Na, dann gehst du jetzt eben nach Österreich!‘“

Wenn ich Im Petit Tirolia Abalone und Seegurke auf den Teller legen wurde, das ware ein Ding der Unmoglichkeit.
Steve Karlsch über alpine Geschmacksgrenzen

Was Raue eher als Scherz in die Runde warf, war einige Wochen später Realität. Und Karlschs Emotionen schwankten irgendwo zwischen Urlaubsfeeling – für einen gelernten Stadtfritzen, wie er selbst sagt, sei die konstante Bergkulisse übrigens immer noch der Wahnsinn – und Perspektivenoptimierung im Eilzugtempo. Denn im Tiroler Bergidyll lag zum Zeitpunkt seines Amtsantrittes so einiges im Argen. Das Hotel, das sich im Besitz der russischen Milliardärsgattin Jelena Baturina befindet, hatte gerade über vier Millionen Euro Verlust geschrieben, Karlsch hatte kein Team, kein Lieferantennetzwerk und vor sich riesige Bräuer-Fußstapfen. „Klar musste ich mich da schon sehr stark aus meiner Komfortzone herausbewegen, denn in Berlin lief ja alles wie geschmiert. Aber es hat sich alles sehr schnell eingependelt. Ich hatte minimale Vorgaben von den Betreibern, in welche Richtung die Küchenlinie im Petit Tirolia ungefähr gehen soll, hab ein Team aufgestellt und zu kochen angefangen.“

Enges Tal, breiter Horizont
Steve Karlsch
Und zwar gänzlich anders als sein Vorgänger. „Ich habe keinen französischen Einschlag, so wie er, und generell eine andere Vorstellung von Fine Dining“, sagt Karlsch. Eine Vorstellung, in der sich seine asiatische Prägung in Zubereitungstechniken, Würzen und Marinaden widerspiegelt, nicht aber in Produkten wie Seegurke, Abalone oder Kalbssehnen, „die sogar den Gästen im MÂ zu weit gingen, obwohl die eigentlich super schmecken, ein bisschen nach Sülze“. Und auch eine Vorstellung, die doch recht klar vom aktuellen Regional-total-Trend abweicht. „Anfangs haben wir die Küchenlinie im Petit Tirolia noch als regional mit asiatischen Einschlägen bezeichnet, aber davon haben wir uns bald wieder verabschiedet.“ Eine Entscheidung – dessen ist sich Karlsch gewahr – mit Erklärungsbedarf. Denn Kitzbühel bleibt nun mal Kitzbühel und das Regionslabel liegt auf den ersten Blick nirgends näher als hier. „Das Naheliegende ist nicht immer das Beste!“, sagt Karlsch entschieden.
„Ich beziehe mein Fleisch vom Höllerschmidt, weil er einfach die beste Qualität liefert, und die Schnecken kommen aus Wien von Andreas Gugumuck – aus genau demselben Grund.“ Und dass Karlsch anders als viele seiner Kollegen aus der trendigen Heimatküchenecke kein medial gut zu verwurstendes regionales Lieferantennetzwerk vorweisen kann, bringt ihn schon gar nicht aus der Ruhe. „Zum einen haben die Bauern hier aus der Umgebung nicht auf mich gewartet, zweitens habe ich Region immer als den Alpenraum verstanden, nicht als Kitzbühel, und drittens macht dieses ganze Regionalding nur dann Sinn, wenn es eisenhart als Konzept durchgezogen wird“, ist er von der Sinnhaftigkeit seiner weltumspannenden Küche im Petit Tirolia überzeugt. „Wir setzen uns nicht an einen Bach und warten, bis eine Forelle vorbeischwimmt, um sie auf Zitronengras aufzuspießen und das Ergebnis dann als regional-asiatisch verkaufen zu können. Ich habe keine klar definierte Linie, ich brauche auch keine, und wenn ich morgen eine orientalische Phase habe, dann ist das eben so.“

Gran Tirola

Mister Karlsch glänzt lieber mit Augenzwinkern und erfrischend mutigen Aromenspielen als mit schweren Damasttischdecken, Gänsestopfleber und Kaviar. Er wechselt die Speisekarte, wann auch immer es ihm gefällt, und begeistert Hotelgäste wie Kitzbüheler mit „Gebackener Gelber Bete mit saurer Mango und Lammtatar“, „Dorade mit Brennnessel, Zitronenmelisse und Holunder“, „Erdbeere, Olivenkrokant und Fenchel“ oder „Gebeizter Reinanke mit Kohlrabimousse und Stachelbeergelee“. Letztere Kreation kommt übrigens in Form gegossen daher – und zwar in der eines abgenagten Fischskeletts. Die Form hat Karlsch vor Jahren aus Hongkong mitgebracht, in Kitzbühel hat sie endlich ihre Bestimmung gefunden. Und seine Amuse-Gueules schickt Karlsch ganz selbstbewusst in Jausendosen an die Tische. Darf man das in einem Laden, der aktuell bei drei Gault-Millau-Hauben und 17 Punkten hält? Und der noch dazu im elitären Kitzbühel steht? „Bei all den hohen Standards, die es im Fine Dining zu halten gibt: Lockerheit, Entspanntheit und Freude sind mindestens so wichtig wie die Verpflichtung, sich jeden Abend voll ins Zeug zu legen“, sagt Karlsch. „Man darf dem Gast nicht das Gefühl geben, dass er in einer Kirche sitzt und jetzt gefälligst dem Küchenchef huldigen muss. Und vor allem muss man ihm das Gefühl vermitteln, dass ein Frack oder ein Abendkleid keine Voraussetzung sind, um hier zu essen.“

Klar machen wir Fine Dining. Aber man darf dem Gast nicht das Gefuhl geben, dass er in einer Kirche sitzt und
irgendjemand huldigen muss.
Steve Karlsch über Lockerheit als Erfolgsbaustein moderner Haute Cuisine

Gran Tirola

Die Tücken der Tradition
Bei den Kollegen der nahen Umgebung – allen voran die drei- und vierfach behäubten Herren Andreas Senn und Simon Taxacher – und bei renommierten Gourmet-Kritikern muss Karlsch nach der bravourös bestandenen Feuertaufe im Petit Tirolia jedenfalls weniger Überzeugungsarbeit leisten als bei dem einen oder anderen Gast der Region und des Hauses. Denn Kitzbühel, gesteht Karlsch, ist kein einfaches Terrain für Haute Cuisine. „Kitzbühel ist eigentlich schon eine Gourmetdestination, aber wir leben hier nicht vom Feinschmeckergast“, erklärt er. Und: Man dürfe nun mal nicht aus den Augen verlieren, dass Urlaubsgäste eine sehr konkrete Vorstellung von österreichischer Kulinarik hätten – und die spielt sich nun mal vorwiegend zwischen Käsespätzle und Wiener Schnitzel ab. „Wenn ein Großstädter, der das ganze Jahr über in Toplokalen isst, hierher zum Skifahren kommt, dann tendiert er eher zu Käsespätzle als zu einem 12-Gänge-Menü.“ Allerdings, räumt Karlsch ein, seien die 40 Sitzplätze im Petit Tirolia im Winter trotzdem bestens gebucht, „nur im Sommer ist es eben ein bisschen schwieriger, denn da gibt es mehr Aktivurlauber und die setzen sich, wie die Erfahrung zeigt, abends einfach nicht so gerne ins Restaurant.“ Er selbst hätte gerne mehr Zeit, sich in andere Restaurants zu setzen, sagt der frischgebackene Vater eines Sohnes. „Ich hab ja die klassischen Wanderjahre ausgelassen, quasi als Ersatz bin ich aber immer extrem viel essen gegangen, vor allem asiatisch“, sagt er. „Das fehlt mir hier schon manchmal ein wenig.“ Denn in Kitzbühel und Umgebung mag es ja allerhand geben – einen guten Thailänder aber mit Sicherheit nicht. Wie gut, dass München nur einen Katzensprung entfernt ist. Ob er irgendwann doch noch einmal zum Sprung über den Teich ansetzt, steht in den Sternen, „aber auch wenn ich wohl nicht bis zur Rente hier bleiben werde: Momentan macht es extrem viel Spaß und ich konzentriere mich jetzt erst einmal darauf, unsere Leistung hier zu konsolidieren und die Auszeichnungen zu halten, die wir bis dato eingefahren haben.“ Ob ihn die Gourmetjournaille 2015 in den Bobby-Bräuer-Ritterstand erheben wird? „Keine Ahnung“, sagt Karlsch. „Ich hätte jetzt nichts dagegen, aber Bescheidenheit und Demut sind zwei Eigenschaften, die man als Koch niemals ablegen sollte.“

www.grand-tirolia.com

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