Angel Leon: Poseidons Buddy

Ángel León aus dem Restaurant Aponiente in Südspanien zeigt, was das Meer alles kann, wie man Menschen dazu bringt, Fisch zu essen, den sie nie essen wollten, und wieso das dem Guide Michelin die ersten drei Sterne Andalusiens wert ist.
Oktober 12, 2018 | Text: Sissy Rabl | Fotos: Lukas Kirchgasser, Nancy Jesse/Nils Hasenau Fotografie, Gerd Tschebular

Lange Zeit ging es im Süden Spaniens kulinarisch gesehen recht beschaulich zu. Langsam plätscherte es in internationale Gourmetkreise, dass in Puerto de Santamaria, im Sherry-Dreieck Spaniens, die Wogen doch ziemlich hochgehen. Auf der Welle reitet Ángel León aus dem Restaurant Aponiente.

Ángel León

„Als ich beschlossen habe, zu euch auf die CHEFDAYS nach Berlin zu kommen, war mir sofort klar: Ich will euch meine Geschichte erzählen.“ Die Geschichte, wie es ein Koch und Fischer aus einem kleinen Dörfchen im Süden zum internationalen Botschafter des Meeres bringt. Denn so kennt man Ángel León. Er und das Meer sind eins. Im Dialog für Bewusstsein und natürlich: geniale Küche. „Zuerst war die Liebe zum Meer“, sagt León.

„Mein Vater hat mich das Fischen und die Liebe zum Meer von klein auf gelehrt. Erst dann kam das Kochen.“ Vor zehn Jahren im eigenen kleinen Restaurant Aponiente in Puerto de Santamaria. Mit Fischen, die keiner mag. „Im zweiten Jahr musste ich beinahe schließen. Niemand wollte diese unbekannten Dinge aus dem Meer essen.“ Dann kam die Reflexion. Wie so oft Vorbote für eine geniale Idee bei Ángel León.

Ángel León

„Wie bekomme ich die Menschen dazu diese Fische zu essen?“ Der Mensch sei ein Gewohnheitstier, spricht der Spitzenkoch. „Und so haben wir ihnen eben gegeben, was sie kennen.“ Nur eben nicht wirklich. „Damit ihr versteht, was ich mache: Mit dem Meer ist es wie mit den Schuhen. Diesen Schuh kennt jeder, oder?“ Und ein roter Nike-Sneaker leuchtet von der Leinwand der CHEFDAYS 2018 in Berlin. „Und genauso gibt es im Meer Fische, die jeder kennt.

Die interessieren mich nicht. Ich frage mich, was geht mit dem Rest?“ Im Aponiente jedenfalls sehr viel. Beispielsweise Fischwurst. „Wir haben uns an den Tieren an Land inspiriert. Und diese im Meer gesucht. Begonnen haben wir mit dem Schwein des Meeres“, lacht León. Ein Fisch mit ausgeprägt hohem Fettanteil, der sich dementsprechend wunderbar für die Herstellung von Botifarra, Morcilla, also Blutwurst, und Chorizo eignet.

Alles aus dem Meer

Das ist super angekommen. Und daher spinnen León und sein Team den Gedanken weiter. Bis hin zu Käse aus dem Meer. Mit Proteinen aus dem Meer. „Die Rezeptur beziehungsweise die Komponenten, aus denen ein Käse besteht, sind die gleichen. Nur eben alles aus dem Meer“, spricht’s und deutet auf projizierten Tintenfisch-Tinten-Käse, Plankton-Weichkäse und eine Algen-Käse-Version. Die Produkte vom Land braucht León schlichtweg nicht.

Saucen bindet er mit Kollagen vom Rochen sowie dem, das sich zwischen Gräten und Schuppen versteckt. So wie beim Gericht „Chorizo del Mar mit frittierter Fischhaut“. „Callos“ heißt die klassische spanische Landversion davon. Ein Schweinefleisch-Gericht. Nur eben nicht in Ángel Leóns Aponiente. „So essen die Leute Proteine, die sie ansonsten nie probiert hätten“, lächelt er.

Aber doch etwas, das sie kennen. Und das funktioniert. Ja, und nachdem das mit dem Schwein des Meeres so hervorragend funktioniert hat, hieß es für Ángel León natürlich: „Warum nicht gleich die ganze Erde ins Meer übersetzen?“ Gedacht, getan. Es folgten die „Taube des Meeres“, eine Royal aus verschiedenen Fischarten, und das „Surimi vom Zapo“.

Ein Fisch, der „so hässlich ist, dass ihn nicht einmal die Katzen fressen wollen.“ Aber Surimi, das kennt der Mensch. Und liebt es. Auch auf 3-Sterne-Niveau im Aponiente. In 25 Gängen überraschen und verwirren Ángel León und sein Team die Gäste ihres Restaurants in Puerto de Santamaria nahe Cádiz.

Machen Dinge, auf die vor ihnen einfach noch keiner gekommen ist. So wie ausschließlich den Kopf des Thunfischs verarbeiten. Aponientes Rind des Meeres. „Ich habe das große Glück, dass ich im südlichsten Zipfel von Spanien lebe. An der Grenze zu Afrika, wo der Thunfisch in der Meeresenge zwischen den Kontinenten an uns vorbeischwimmt.“

Was den Koch des Meeres dabei immer gestört hat und nicht nur den Thunfisch, sondern generell alle Fische betrifft: „Die Fische kommen so gut wie alle schon komplett ausgenommen an Land. Das gefällt mir gar nicht. Wir wollen mit diesen Innereien kochen.“ Und darum verwendet León auch nur den Kopf dieses majestätischen Fischs. „Wir behandeln den Kopf wie den eines Rindes und bekommen geniale Konsistenzen hin“, so der Andalusier.

Was machst du so?

Ob er nun Fischer, Koch, Biologe oder Seefahrer sei, fragten ihn die Leute. Aber Ángel León mag keine Grenzen. Und schwimmt auch nicht gerne mit dem Strom. Er liebt das Meer und möchte es in seiner Großartigkeit erfassen und immer weiter kennenlernen. So verwundert es auch nicht weiter, dass es auch der 3-Sterne-Koch aus Puerto de Santamaria war, der es in unserer Zeit tatsächlich noch fertigbrachte, eine neue Zutat zu entdecken.

„Das war einer meiner schönsten Momente als Koch“, so León. „Für mich ist es der purste Geschmack des Meeres überhaupt.“ Die Rede ist vom Plankton. Heute im Verkauf und gehypt. Vor acht Jahren kulinarisch betrachtet nicht existent. Dabei war aller Anfang des Planktons schwer. León: „Wir haben zuerst versucht, das Plankton mit Netzen zu fangen. Nach vier Stunden hatten wir vier Gramm zusammen“, lächelt León.

Dann kam wie so oft die Reflexion. „Was braucht Plankton? Licht, Sauerstoff und Wasser.“ Schon war er realisiert. Der Plankton-Garten eines Ángel León, in dem Plankton jetzt sprießt, wie anderorts Schwammerl aus dem Boden. León wird nicht müde, diese neue Zutat immer weiter zu erforschen und seine kulinarischen Grenzen auszuloten. „Dank Plankton sitzen wir heute alle hier. Denn es produziert fünfzig Prozent des Sauerstoffs in der Luft.

Und hat mehr Omega 3 als Olivenöl“, weiß der Spanier. Generell verfüge keine andere Zutat über dieses hohe Ausmaß an Proteinen und Carotinen, so der Koch. Und daher kommt das vielseitige Plankton in Ángel Leóns Küche auch gleich an mehreren Posten zum Einsatz. Wie beim Brot.

Ángel León in action

Hier fermentiert das Plankton selbst den Teig. Ganz ohne Hefe. Oder ersetzt Butter und Sahne im Falle des „Marinen Risottos“ des 3-Sterne-Hauses. León: „Plankton bewirkt im Risotto die ganz gleiche Sämigkeit wie tierische Produkte. Sie gehen uns gar nicht ab. Generell beschwert sich im Aponiente niemand über zu wenig Fleisch“, lacht der 41-Jährige.

Andalusisches Aushängeschild

Ja und irgendwann hat dann auch der Guide Michelin von diesen schrägen Dingen Wind bekommen, die im Süden Spaniens abgehen. „Ich sage immer, den Guide Michelin und den ersten Stern hat mir nicht der Guide geschickt, sondern das war Hilfe von oben.“ Sonst wäre es sich in diesem kleinen Dorf recht abgelegen im Süden und in einer Region, die nicht gerade über die höchste Kaufkraft verfügt, wohl nicht ausgegangen.

Heute ist León der erste Andalusier, über dessen Restaurant drei Sterne prangen. Und zwar nicht mehr an der alten Adresse, sondern seit zwei Jahren in einer verlassenen Gezeitenmühle. „Es war ein ganz verlassener Landstrich. Ich bin so glücklich, dass wir heute dort kochen und werken dürfen.“ Das Meer fließe unter dem Restaurant vorbei. Die alte Mühle sowie die Salinen in Sichtweite. Eine weitere Inspiration für den Chef des Meeres.

Der ein an ein Gemälde von Bob Ross erinnerndes Foto zeigt. In allen Orangetönen, die die Farbpalette hergibt. „Ich wollte wissen, warum das Meer hier so orange ist.“ Natürlich wollte er das wissen. Der Grund ist Dunaliella. Eine Algenart. Von Ángel León in seinem Garten als mariner Safran bezeichnet. „Es schmeckt genau wie Safran. Wobei ich sowieso glaube, dass zuerst alles im Meer da war und nicht an Land“, lächelt’s. So wie das Cochinillo del mar – also eines der klassischsten Gerichte des Landes auf Meer getrimmt.

Die Muränenhaut bearbeitet León nämlich so, dass sie knusprig ist wie eine Schweinehaut, er zerteilt die Muräne showgerecht mit der Kante eines Tellers. „So macht man das in Spanien klassischerweise mit dem Cochinillo. Wie ihr seht, geht das mit der Muräne auch.“ Ebenso wie es geht, dass man Hummer und Co. im Ganzen, also mit Schale, isst. Grund dafür ist ein Enzym, das León und sein Team aus der Schale der Tiere herausgearbeitet haben.

Im Aponiente ist alles möglich. Der Griff nach den Sternen ist längst gelungen. Und auch das Meeresleuchten, das León auf seinen Ausfahrten als die bezauberndsten Momente mit dem Meer überhaupt bezeichnet, holt der Koch oder Fischer oder… für seine Gäste ins Aponiente. Extrahiert aus einer Krebsart, die ihr blaues Leuchten auch beim Kochen behält. Muränen, die zu Spanferkel werden, Plankton im Garten und Licht trinken. All das ist Aponiente und Sternstunden der Top-Gastronomie auf den CHEFDAYS 2018 in Berlin!
www.aponiente.com

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