Mitsuharu Tsumura und seine unverwechselbare Nikkei-Cuisine

Mit seiner unverwechselbaren Nikkei-Cuisine hat Mitsuharu Tsumura Perus Gastrowunder-Ära entscheidend mitbegründet. Warum der kochende Historiker seiner Zeit dennoch immer einen Schritt voraus ist – und was Guerilla-Kriege damit zu tun haben.
September 2, 2021 | Text: Lucas Palm | Fotos: Raphael Gabauer, Pocho Cateres, Maido

Von den den 32 Klimazonen, die sich über unseren Planeten erstrecken, liegen ganze 28 in Peru. Von der Pazifikküste über den Amazonas-Dschungel bis hin zu den Anden wartet dieses Fleckchen Erde mit einem landschaftlichen und kulturellen Reichtum auf, der auch in kulinarischer Hinsicht einzigartig ist. Kein Wunder also, dass es ausgerechnet diese vielseitige Andenrepublik war, die vor 20 Jahren zur Keimzelle des sogenannten lateinamerikanischen Küchenwunders wurde. Der König der Haute Cuisine Auguste Escoffier attestierte der peruanischen Küche bereits vor rund 100 Jahren, nach der französischen und chinesischen eine der „besten Küchen der Welt“ zu sein.

Mitsuharu Tsumura
Das kulinarische Erbe Japans, das Mitsuharu Tsumura als Nikkei – so heißen Perus Einwohner mit japanischen Vorfahren – in seinen Genen trägt, kombiniert er spielerisch mit der multiethnischen Küche Perus.

Von den den 32 Klimazonen, die sich über unseren Planeten erstrecken, liegen ganze 28 in Peru. Von der Pazifikküste über den Amazonas-Dschungel bis hin zu den Anden wartet dieses Fleckchen Erde mit einem landschaftlichen und kulturellen Reichtum auf, der auch in kulinarischer Hinsicht einzigartig ist. Kein Wunder also, dass es ausgerechnet diese vielseitige Andenrepublik war, die vor 20 Jahren zur Keimzelle des sogenannten lateinamerikanischen Küchenwunders wurde. Der König der Haute Cuisine Auguste Escoffier attestierte der peruanischen Küche bereits vor rund 100 Jahren, nach der französischen und chinesischen eine der „besten Küchen der Welt“ zu sein.

Mitsuharu Tsumura
Das kulinarische Erbe Japans, das Mitsuharu Tsumura als Nikkei – so heißen Perus Einwohner mit japanischen Vorfahren – in seinen Genen trägt, kombiniert er spielerisch mit der multiethnischen Küche Perus.

Heutige Granden wie Virgilio Martínez oder Pía León – ganz zu schweigen vom Übervater der peruanischen Küche, Gastón Acurio – machen Escoffiers Statement bis heute alle Ehre, indem sie als Teilzeit-Foodscouts Lebensmittel entdecken, die vor ihnen lediglich indigene Gemeinschaften auf 4200 Meter Höhe zu sich nahmen. Eine entdeckungswütige Rückbesinnung, könnte man sagen, macht die unerschöpfliche Kulinarik des heutigen Perus aus.

Morde, Stromknappheit, Hyperinflation: Damals haben viele Menschen Peru verlassen. Mitsuharu Tsumura über das Lima der 1980er-Jahre, als die Guerilla-Kriege wüteten

 

Und dann gibt es da Mitsuharu Tsumura. Wie jeder Starkoch Perus reist auch er in die entlegensten Winkel des Landes, um neue Zutaten zu entdecken. Doch diese obsessive Terroiraffinität erweitert Tsumura um eine historisch-kulturelle Dimension, die sich Nikkei-Küche nennt. Nikkei, so heißen eigentlich Perus Einwohner mit japanischen Wurzeln. Zwar machen sie nur 0,1 Prozent der peruanischen Gesamtbevölkerung aus, ihr kultureller Einfluss auf das Land war (und ist) jedoch beträchtlich.

Mitsuharu Tsumura
Messermuscheln mit Forelleneiern, Peperoni udn Ponzu-Gel.

Als Ende des 19. Jahrhunderts Peru als erstes Land Lateinamerikas nicht nur diplomatische Beziehungen mit dem japanischen Kaiserreich, sondern auch als erstes Land des Kontinents japanische Einwanderung erlaubte, verdingten sich Japaner zu Tausenden in peruanischen Plantagen. Im Gegensatz zum entwicklungswütigen Japan, in dem viele Bauern durch die industrielle Revolution arbeitslos geworden waren, blieb Peru ein landwirtschaftlich geprägtes Land.

Viele dieser Gastarbeiter wurden sesshaft, sie gingen in die Städte, arbeiteten dort in Restaurants. Peru als jenes Land, das über die größte Fischvielfalt weltweit verfügt, bot ihnen einen regelrechten Tummelplatz, um ihre heimischen Rezepte in die Küchen Limas, Trujillos oder Huancayos zu bringen. So in etwa beginnt die Geschichte der Küche, die Tsumura von seinem Restaurant Maido aus weltweit zum Siegeszug verholfen hat.

Mitsuharu Tsumura
Japanische Finesse trifft lateinamerikanische Scharfmacherei. Mitsuharu Tsumuras Nikkei-Küche prägte Limas Weltruf als Gastro-Metropole entscheidend mit.

Auf der prestigeträchtigen World’s-50-Best-Liste rangiert sein Gourmet-Tempel derzeit auf Platz zehn, auf jener der Latin America’s 50 Best auf Platz zwei, nachdem es von 2016 bis 2019 drei Mal hintereinander die Liste anführte. Was macht Mitsuharu Tsumuras Küche so erfolgreich? Und wer steckt hinter diesem unbestrittenen Herdmagier, der einer seit Jahrzehnten kulturell so einflussreichen Minderheit plötzlich ein kulinarisches Gesicht verleiht?

Aus zwei mach eins

„Die peruanische Küche kann auf eine Geschichte von Tausenden von Jahren zurückblicken“, weiß Tsumura. „Diese lange Tradition ist unser Fundament. Das, was der peruanischen Küche ihre Einzigartigkeit verleiht, ist meines Erachtens die spanische Eroberung. Chinesen, Italiener, Japaner, Afrikaner, alle kamen sie nach Peru.

Peruanische Küche ist wie Hard Rock, Japanische wie Klassik. Maido-Mastermind Mitsuharu Tsumura über die Nikkei-Küchenpartituren, die den Notenschlüssel für das Maido vorgeben

Jeder, der zum ersten Mal nach Peru reist, ist anfangs genauso verstört wie erstaunt, welche Bandbreite an Aromen es hier gibt. Die wenigsten wissen, dass – historisch bedingt – jeder Haushalt in Peru Sojasauce zu Hause hat. Auch einen Wok hat so gut wie jeder. Viele der peruanischen Nationalgerichte werden in einem Wok zubereitet. Lomo saltado ist nur ein Beispiel.“ Spanisch für „Springendes Fleisch“, wird in diesem Klassiker der chinesisch-peruanischen Küche das in feine Stücke geschnittene Rindfleisch mehrere Stunden in eine Marinade auf Sojasaucen-Basis eingelegt, bevor es angebraten und schließlich mit Zwiebeln, Tomaten und Chilis gegart wird. Serviert wird es in der Regel mit Reis und Pommes frites.

Mitsuharu Tsumura
Teigtasche mit Garnelensuppe, Kräuter, Kaviar.

Der chinesische Einfluss auf das peruanische Kulinarik- Geschehen liefert einen bezeichnenden Vergleich zum japanischen. „Der Unterschied liegt darin“, erklärt Tsumura, „dass es viel mehr Chinesen nach Peru verschlug als Japaner. Das führte dazu, dass sie schnell eigene Gemeinschaften und Siedlungen bildeten und auch kulinarisch unter sich blieben. Bei den Japanern war das anders. Dadurch, dass sie so wenige waren, waren sie geradezu gezwungen, mit der peruanischen Lokalbevölkerung zu interagieren. Ihre Kinder wurden dann auch immer peruanischer, trugen aber natürlich das kulinarische Erbe in sich. So vermischte sich das alles.“

Von Hard Rock bis Klassik

Tsumuras Kindheit und Jugend waren von einer der dunkelsten Phasen der peruanischen Geschichte geprägt: den Guerilla-Kriegen, die 1980 ihren Anfang nahmen. Gewalt, Morde, Stromknappheit, Hyperinflation – all das gehörte für die Familie Mitsuharu in Lima zum Alltag.

„Während meiner Schulzeit haben viele Menschen das Land verlassen. Einige, weil sie nicht mehr konnten. Andere, weil sie bedroht wurden.“ Tsumura ging erst nach der Pflichtschule ins Ausland. Vom Vater dazu ermutigt, seiner Leidenschaft fürs Kochen nachzugehen, studierte er an der renommierten Johnson & Wales University Culinary Arts, Food and Beverage Administration. Danach ging er nach Osaka, um ebenjenes kulinarische Erbe, das er von zu Hause kannte, besser kennenzulernen. Die kompromisslose Härte in den japanischen Küchen konnte dem krisenerprobten Peruaner nur wenig anhaben. Im Restaurant Seto Sushi und dem Imo to Daikon, das als Topadresse für Izakaya gilt, stattete er sich – nach langen Bewährungsphasen der Tellerwäscherei – mit dem notwendigen Rüstzeug für sein späteres Projekt aus, das er schließlich im Jahr 2009 eröffnete.

Mitsuharu Tsumura
Mitsuharu Tsumura eröffnete sein Restaurant Maido in Lima 2009 – und etablierte seither die Nikkei-Küche weltweit.

Und dessen Erfolg bis heute beweist: Mitsuharu Tsumura weiß nicht nur, was er (hinter dem Herd) tut. Er war auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort. „Wegen des Guerilla-Konflikts stand die Zeit in Peru 25 Jahre lang still. Als der Krieg gewonnen war, herrschte Aufbruchsstimmung, ein bisschen wie in Deutschland nach dem Fall der Berliner Mauer. Ein ganzes Land war auf der Suche nach etwas, das einen stolz darauf sein lässt, Peruaner zu sein.“ Mitsuharu Tsumura gab die Antwort mit seinem Nikkei-Restaurant in seiner Heimatstadt.

Weder kocht er dort japanische Küche mit peruanischem Einfluss noch peruanische mit japanischem Einfluss – sondern materialisiert, wenn man so will, das hybride Geflecht namens Nikkei kulinarisch auf einzigartige Art und Weise. Die Grundbasis ist dabei erstaunlich ähnlich: Fisch, Reis, viel Gemüse – die japanische und peruanische Kulinarik trennt letztlich weniger, als man auf den ersten Blick glaubt. Die Unterschiede, so Tsumura, liegen vielmehr in der „Grundtonart“, in der im jeweiligen Land gekocht wird. „Die peruanische Küche ist wie Hard Rock. Stark, scharf, vibrierend. Die japanische hingegen ist wie klassische Musik, sie ist subtiler, delikater und produktaffiner.“

Mitsuharu Tsumura
Muschel-Nigiri mit Mini-Domburi, Thunfisch und Forelleneiern.

Seine umami- geladenen Nigiri beispielsweise, bei denen der Reis mit Wagyu und einem typisch peruanischen Wachteleigelb belegt ist – in das wiederum Yuzu injiziert wurde. Ein Maido-Klassiker ist außerdem Tsumuras Ceviche: Die Tigermilch – die Marinade also aus Koriander, Zitronensaft und Chili, in der der Fisch gebeizt wird – friert Tsumura mithilfe von flüssigem Stickstoff ein und macht aus der Marinade einen frischen Untergrund, auf dem der oft nach japanischen Techniken zubereitete rohe Fisch präsentiert wird.

Mit Tellern wie diesen beweist Limas Alchimist: Es kann etwas dauern, bis bestimmte Geschichtszweige eines Landes ihren kulinarischen Ausdruck finden. Wenn es aber so weit ist, dann sind Gerichte wie diese aus dem kulinarischen Gedächtnis eines Landes nicht mehr wegzudenken. Zum Glück.

maido.pe

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