Alles echt verboten: Geheime Geschichten hinter verbotenen Lebensmitteln
Avocado? Schwierig. Kalbfleisch aus Holland? Skandalös. Lammfleisch ist, ganz gleich woher, überhaupt nur was für Kindermörder und wer Erdbeeren im Februar will, soll doch am besten gleich auswandern. Ja, die Blüten der Moralisierung des Essens mögen zuweilen seltsam anmuten. Fakt ist: Was auf unserem Teller landet, verrät heute erstaunlich viel über unsere Glaubenssätze.

Avocado? Schwierig. Kalbfleisch aus Holland? Skandalös. Lammfleisch ist, ganz gleich woher, überhaupt nur was für Kindermörder und wer Erdbeeren im Februar will, soll doch am besten gleich auswandern. Ja, die Blüten der Moralisierung des Essens mögen zuweilen seltsam anmuten. Fakt ist: Was auf unserem Teller landet, verrät heute erstaunlich viel über unsere Glaubenssätze.

Lebensmittel sind in einem Ausmaß ethisch-moralischen Normen unterworfen, wie das weltweit in der Geschichte wohl noch nie der Fall war. Das hat zur Folge, dass sie auch immer strengeren Gesetzen unterliegen. Und diese können so streng sein, dass manche Lebensmittel heute gar gänzlich verboten sind.
Die Gründe dafür sind vielfältig, jedoch haben all diese Lebensmittel gemeinsam: Sie verstören. Einige, weil sie unter hygienischen Gesichtspunkten nicht (mehr) zumutbar sind. Andere, weil ihnen Grausamkeit zugrunde liegt. Und wieder andere, auf die beides – oder nichts davon zutrifft. Faszinierend dabei: So selten verbotene Lebensmittel auch sind, sie sagen oft mehr über uns als Gesellschaft aus, als die vielen erlaubten.

Und: Die wenigsten dieser Verbote bestehen weltweit. Sie machen damit selbst in unserer – vor allem kulinarisch – durchglobalisierten Welt deutlich, wie hartnäckig sich kulinarische Traditionen halten. Und dann, ja, dann wären da auch jene Lebensmittelverbote, die vor Jahrzehnten beschlossen worden sind – und die heute niemand mehr versteht.
Wegwerfen erlaubt, essen nicht
Am wenigsten Max Stiegl. Zumindest dann, wenn ein Verbot den Biber in Österreich betrifft. „Der Biber wurde in Österreich zurecht geschützt, weil er vom Aussterben bedroht war“, erklärt der berühmt-berüchtigte Koch vom Gut Purbach im Burgenland.
„Aber seit einigen Jahren gibt es in vielen Gegenden Österreichs wieder so viele davon, dass eine bestimmte Anzahl von Bibern entnommen, also getötet werden muss, damit sie keinen Schaden anrichten. Laut Gesetz muss man diese Biber entsorgen, man darf sie also weder zubereiten noch verzehren – und das, obwohl wir eine jahrhundertelange Tradition von Biberfleischgerichten haben“, ärgert sich Stiegl. „Mir geht es nicht darum, dass alle Biber plötzlich bejagt werden dürfen, sondern darum, dass die, die entnommen werden müssen, auch im Sinne der Nachhaltigkeit verwertet werden!“
Immerhin: Stiegls Argumente sind so stichhaltig, dass es schon Gespräche mit Politikern gab, um dieses Verwertungsverbot zu überdenken. Der Fall ist ein prägnantes Beispiel dafür, wie stark bestimmte Lebensmittelverbote äußeren Gegebenheiten unterliegen – und daher nicht in Stein gemeißelt sind. Etwas nachvollziehbarer ist für viele das Verbot des sogenannten Casu Marzu.

Verbote als Übergriff
Die Rede ist vom berüchtigten Larven-Käse aus Sardinien. Ausgangsprodukt ist ein gereifter Pecorino. In diesen werden gezielt Eier von der Käsefliege gelegt. Die daraus schlüpfenden Larven fressen den Käse an, fördern durch ihre Enzyme die starke Fermentation und machen den Käse besonders cremig.
Dennoch: Kein Wunder, dass dieses kulinarische Symbol kultureller Identität verboten ist. Den Sicherheitskriterien der EU-Lebensmittelhygieneverordnung aus dem Jahr 2002 hält der Casu Marzu mitnichten stand: Die lebenden Maden können im menschlichen Verdauungstrakt überleben und dort Myiasis verursachen, also Gewebe befallen. Zudem entstehen während des extremen Reifungsprozesses hohe Mengen sogenannter biogener Amine, die Magen-Darm-Beschwerden hervorrufen können. Und doch: Das bedeutet noch lange nicht, dass es den Casu Marzu nicht mehr gibt.
Noch immer wird er auf Sardinien von so manchem Käser hergestellt und auf dem Schwarzmarkt verkauft. Was wiederum zeigt: Kulinarische Verbote vonseiten des Staates werden vor allem dann nicht befolgt, wenn sie von der betroffenen Bevölkerung als Affront, als Eingriff in einen intimen Teil der Identität wahrgenommen werden. Nur logisch also, dass so mancher Staat die Finger von bestimmten kulinarischen Traditionen seiner Landsleute lässt, während sie in den meisten anderen Staaten strengsten verboten sind.
Das verbotene Tier und sein erlaubtes Fleisch
Beispiel: Das philippinische Balut. Es handelt sich dabei um ein halb ausgebrütetes Entenei, in dem man ein gekochtes, schon mit Federn, Knochen und Adern durchzogenes Küken direkt aus der Schale verspeist.
Nicht nur auf den Philippinen, auch in anderen Teilen des südostasiatischen Raumes gilt es als kräftigendes, eiweißreiches Nahrungsmittel mit aphrodisierender Wirkung. Dort ist es so tief in der Esskultur verankert, dass es meist als Snack auf Märkten verzehrt wird. In westlichen Staaten hingegen ist Balut aus vielen Gründen verboten. Allein die Gesetzgebung auf EU-Ebene zeigt, warum: Eier dürfen nur in bestimmten Entwicklungsstadien verkauft werden.
Ein teilweise entwickelter Embryo entspricht nicht der Definition von „Ei“. Dass er getötet und verkocht wird, verstößt gegen europäische Tierschutz- und Schlachtvorschriften. Warum besagte Vorschriften hingegen erlauben, Gänsen Schläuche in den Hals zu stecken, um sie zur Gewinnung von Foie Gras – also Gänsestopfleber – mit Fett zu mästen, würde der Interessierte Philippino wohl nicht ganz verstehen.
Doch die Inkonsequenz in Sachen Lebensmittelverboten zeigt sich noch eine Spur deutlicher beim sogenannten Hákarl. Dabei handelt es sich um das fermentierte Fleisch des Grönlandhais. Es gilt in Island als kulinarisches Kulturgut und ist überall zu finden.

Das ist deswegen so, weil Island nicht in der EU ist. Dort hingegen unterliegt der Grönlandhai als Tiefseehai einem strengen Schutz: Fang, Anlandung und Handel mit frisch gefangenem Grönlandhai sind verboten. Das heißt: Kein EU-Fischer darf ihn fangen, verarbeiten oder vermarkten. Und doch: Das in Island fermentierte Haifleisch darf sehr wohl in die EU importiert werden. Diese Widersprüchlichkeit muss Österreich als EU-Mitgliedsstaat sauer aufgestoßen sein.

Deswegen besteht seit April 2024 in der Alpenrepublik ein generelles Import- und Verarbeitungsverbot für Haiprodukte, das auch für Hákarl gilt.
Recht konsequent für einen Staat, der mit seinen eigenen Bibern so widersprüchlich umgeht – und der zeigt: Nicht alles, was verboten ist, ist letztlich unmoralisch. Und umgekehrt, versteht sich.



