Wie Tomaten-Züchter Erich Stekovics zum Top-Gemüselieferanten der Spitzengastronomie wurde

Der Bio-Bauer Erich Stekovics baut im Burgenland über 3000 alte, fast vergessene Tomatensorten an und besitzt die größte Tomatensaatgut-Sammlung der Welt. Warum die Spitzengastronomie auf seine Raritäten schwört – und was 800 Meter tiefe Wurzeln damit zu tun haben.
September 2, 2021 | Text: Lucas Palm | Fotos: Stekovics

Das Produkt ist bekanntlich der Star. Das damals, in den 1970er-Jahren, revolutionäre Credo des Jahrhundertkochs Eckart Witzigmann gilt heute jedem vernünftigen Küchenchef – zu Recht – als Binsenweisheit. So sehr, dass sich der Jahrhundertkoch vor zwei Jahren gezwungen sah, sein Credo um eine Dimension zu erweitern: „Nicht nur das Produkt, auch Produzenten sind die Stars der Küche!“

Stekovics
Erich Stekovics mit zwei seiner Tomatenbabys. Diese liefert er später an das Who’s who der österreichischen Spitzengastronomie.

Einer, der dieses Credo in den vergangenen Jahren wohl am prominentesten zu spüren bekam, ist Erich Stekovics. In Frauenkirchen am Neusiedler See baut der studierte Theologe über 3000 alte, großteils vergessene Tomatensorten an.

Das Produkt ist bekanntlich der Star. Das damals, in den 1970er-Jahren, revolutionäre Credo des Jahrhundertkochs Eckart Witzigmann gilt heute jedem vernünftigen Küchenchef – zu Recht – als Binsenweisheit. So sehr, dass sich der Jahrhundertkoch vor zwei Jahren gezwungen sah, sein Credo um eine Dimension zu erweitern: „Nicht nur das Produkt, auch Produzenten sind die Stars der Küche!“

Stekovics
Erich Stekovics mit zwei seiner Tomatenbabys. Er liefert seine Tomaten an das Who’s who der österreichischen Spitzengastronomie.

Einer, der dieses Credo in den vergangenen Jahren wohl am prominentesten zu spüren bekam, ist Erich Stekovics. In Frauenkirchen am Neusiedler See baut der studierte Theologe über 3000 alte, großteils vergessene Tomatensorten an. Und auch rare Chili- und Zwiebelexemplare machen seine 50 Hektar Land zu einem wahren Veggie-Mekka, das in spitzengastronomischen Kreisen längst jenen Kultstatus erreicht hat, dass sich einige Betriebe damit brüsten, ihre Tomaten vom „Kaiser der Paradeiser“ zu beziehen – obwohl das gar nicht der Fall ist.

Die jüngsten sind 40, die ältesten 8000 Jahre alt. Erich Stekovics besitzt die weltweit größte größte Sammlung an alten und raren Tomatensamen

„Das waren aber nur wenige“, gibt sich der Pate der Tomaten versöhnlich, „die allermeisten würden das nie tun. Die Großen schon gar nicht.“ Die Liste dieser Großen, die auf Stekovics’ alte Gemüsesorten setzen, liest sich die was Who’s who der heimischen Spitzengastronomie: Vom Steirereck über das Landhaus Bacher bis hin zum Taubenkobel und der Gastwirtschaft Floh sorgt man dank Erich Stekovics dafür, dass Gäste zumindest einmal in ihrem Leben erfahren, wie Tomaten wirklich schmecken. Dass das nicht viel mit der hochgezüchteten Einheitsware aus dem Supermarkt zu tun hat, verstehen viele tatsächlich erst dann.

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Das flache pannonische Klima eignet sich hervorragend für die Freiluft-Bio-Landwirtschaft.

„Wir arbeiten nur mit samenechten Sorten, das heißt mit keinem einzigen Hybrid“, so Stekovics. „Die jüngsten Sorten sind um die 40, 50 Jahre alt. Die älteste ist 8000 Jahre alt.“ Es sind über 3000 Sorten, die auf Stekovics’ rund 50 Hektar wachsen. Als einer der sehr, sehr wenigen betreibt der Burgenländer seine Gemüse-Landwirtschaft nicht nur radikal biologisch, sondern auch ganz ohne Gewächshaus.

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Auf über 50 Hektar Landwirtschaft baut Erich Stekovics neben alten und raren Tomatensorten hochwer tiges Bio-Gemüse an. Darunter auch Zwiebeln, Knoblauch und Chili.

Ein Winzer, so der Tomatenflüsterer, würde ja auch nie auf die Idee kommen, seine Reben in ein Gewächshaus zu geben. Überhaupt sieht Stekovics seine Winzer-Kollegen als oberste Inspirationsquelle, ja eigentlich als Vorbild, was die „Feldarbeit“ betrifft. Die Entscheidung, seine Tomaten ungeschützt gedeihen zu lassen, hat aber auch weitere Gründe: „Wir sind hier in einer windreichen Gegend, das macht den Freiluft-Bio-Anbau sicher noch mal leichter.“

Der Grund: „Wind sorgt für zwei Faktoren: Er ist erstens einmal trocknend, das heißt, wir haben keinen Tau und keinen Dunst. Dadurch haben die Pflanzen, die wir nicht spritzen, eine höhere Chance, gesund zu bleiben. Der zweite Punkt ist aber mindestens genauso entscheidend: Eine Pflanze, die dem Wind ständig ausgesetzt ist, wird ständig verletzt. Manchmal mehr, manchmal weniger. Um ihre Verletzungen auszuheilen, mobilisiert die Pflanze alle Kraft, um die Heilung voranzutreiben. Das ist ein entscheidender Faktor für Geschmack. Neben dem Boden natürlich.“

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Einige der altehrwürdigen Tomatensorten werden auch eingekocht und als Sugoo der Marmelade verkauft.

Als einer von nur sehr wenigen Betrieben – wobei es sich hier fast schon um ein Alleinstellungsmerkmal handelt – gießt Stekovics seine Tomaten seit 20 Jahren nicht. Das hat zur Folge, dass manche seiner Tomaten Wurzeln von bis zu 800 Meter (!) Tiefe erreichen. „Aus dem Weinbereich weiß man ja, dass die Mineralien im Boden circa im Bereich von 1,30 Meter Tiefe beginnen. Deswegen treiben wir die Wurzeln auf eine Tiefe von zwei Metern hinunter, damit sie auch diese Aromenstoffe aufnehmen.“

Der Segen der Keimfähigkeit

Weltweit gibt es mehr als sage und schreibe 300.000 Tomatensorten. Doch mit dem Vormarsch der industriellen Landwirtschaft vereinheitlichte sich die Tomatenlandschaft, vor allem in der westlichen Welt, in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend. Laut Stekovics dominieren gerade einmalzwei Arten von Konzern-Samen das Aromenverständnis des durchschnittlichen Supermarkt-Einkäufers: nämlich der für nördliche und der für südliche Gebiete. Viele Lokalsorten wurden dadurch verdrängt, Stekovics spricht von „genetischen Erinnerungen der Pflanzen“, die innerhalb weniger Jahrzehnte quasi ausradiert wurden.

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Des Paradeiserkaisers Know-how ist auch außerhalb der Gastrobranche derart begehrt, dass seine Führungen über Monate hin ausgebucht sind.

Als er vor 20 Jahren – nach einem Studium der Theologie und einer Karriere innerhalb der Kirche – seine eigene Landwirtschaft gründete, war die Gegenrichtung sein erklärtes Ziel: die Rückbesinnung auf den echten Geschmack der Tomaten. Die Wiederauferstehung (fast) verlorener Sorten. „Angefangen haben wir mit 73 Sorten“, erinnert sich Stekovics. „Das war ein Anbauversuch, um zu schauen, ob gewisse Paradeiser hier tatsächlich so gut wachsen.“ Unter diesen ersten 73 befand sich damals schon eine der ältesten und exotischsten Exemplare: die Gelbe Johannisbeere, eine 1400 Jahre alte Wildtomate, die im pannonischen Klima von Stekovics’ Feldern prächtig gedieh und sich mit ihrer Süße als vielversprechende Sorte für Marmeladen herausstellte.

„Als ich dann erfahren habe, dass es 300.000 Arten von Paradeisern weltweit gibt, hatte ich den Wunsch, einmal in meinem Leben über 1000 davon selbst anzubauen. Das haben wir dann im Jahr 2003 mit genau 1265 Sorten.“

Über den Arche-Noah-Verein, der sich für den Erhalt, die Verbreitung und die Entwicklung vom Aussterben bedrohter Kulturpflanzensorten einsetzt, und andere Vereine in Frankreich sowie den USA kam Stekovics mehr und mehr in den Besitz raren Saatguts, das er nach allen Regeln der biologischen Kunst ins Burgenland brachte.

„Drei bis vier Samen können bereits ausreichen, damit wir die entsprechende Sorte von da an autark anpflanzen können. Wir bauen sie an, und sofern die Keimfähigkeit da ist, gewinnen wir damit zigtausend Samen. Das Gute an Paradeisern ist, dass sie eine hohe Keimfähigkeit besitzen. Die gewonnenen Samen können bis zu 30 Jahre halten.“

Hybrid kann nix

Wie nur wenige in unseren Breiten – und ohne Zweifel auch weltweit – ist Stekovics über die Jahre zu einem aromatischen Lexikon in Sachen Tomaten herangereift. Wer ihm zuhört, wie er bei Texturen und Säuregraden der Liebesäpfel ins Schwärmen gerät, stellt bald fest: Den Tomatengeschmack gibt es als Einzelphänomen so nicht. „Klar“, erklärt Stekovics, „nachdem die Tomate botanisch gesprochen eine Obstart ist, tragen viele Sorten bestimmte Obstgeschmäcke in sich. Wobei die Geschmacksbreite von einem Extrem ins andere reicht.“

Meine großen Vorbilder sind die Winzer. Erich Stekovics’ Affinität zum Weinbau schlägt sich auch in den zwei Meter tiefen Wurzeln seiner Tomatenpflanzen nieder.

Tatsächlich: Die Cocktail-Tomate Bianca hat einen intensiven Geschmack nach Champignon, die Gelbe Johannisbeere wiederum geht stark ins Haselnussartige. Und dann gibt es da auch die alte deutsche Sorte Hess, die nach Papaya und Maracuja schmeckt. Obwohl der Großteil der (west-)europäischen Bevölkerung all diese Urgeschmacksbomben noch nie in Tomatenform kennengelernt hat, erfreut sich die Tomate ungeheurer Beliebtheit.

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Erich Stekovics’ Ehefrau Priska unterstützt tatkräftig das Geschehen im Gemüsemekka.

„Es ist nichts Geringeres als das beliebteste Obst der Österreicher“, weiß Stekovics. „30 Kilogramm isst man pro Kopf im Jahr. Das Traurige daran ist, dass die Gastronomie mit den modernen Hybridsorten zu Recht und verständlicherweise nichts mehr anfangen konnte. Aus den überall verfügbaren Hybridsorten kann man nun einmal nichts Aromenhaftes zaubern.“

Dem Eisernen Vorhang sei Dank

Umso höher schlägt des Paradeiser-Kaisers Herz, wenn er sieht, was die Spitzengastronomie mit seinen „Kindern“ zaubert. „Es ist ein wenig, wie wenn Eltern ihr musikalisch begabtes Kind auf einer Bühne sehen und es brilliert plötzlich als Solist. Ich glaube, mit diesem Bild versteht man, was ich fühle, wenn ich sehe, was Köche mit meinen Paradeisern machen.“ Die Zeichen der Zeit deuten darauf hin, dass Stekovics in Zukunft noch einige solcher Glücksmomente empfinden könnte.

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Wenn die Feldarbeit ruft: Hier wächst und reift alles unter freiem Himmel.

Erstens bietet der Trend zu vegetarischer und veganer Küche Gemüse eine immer größere Bühne. Sorten, die das Zeug zum Star-Solisten haben, werden also zunehmend im Scheinwerferlicht stehen. Zweitens ist Ernst Stekovics noch lange nicht am Ende mit seiner Sammelsucht.

Weltweit gibt es noch fast das Zehnfache seiner bisher 3200 Tomatensorten zu entdecken. Und einige davon wachsen näher, als man glaubt. „Im ehemaligen Ostblock gibt es echte Juwelen. Das liegt daran“, erklärt Stekovics, „dass die großen Konzerne zu Zeiten des Eisernen Vorhangs dort keine Schäden anrichten konnten.“ So wächst in Frauenkirchen mittlerweile auch das „Herzstück aus Russland“, wie Stekovics die Sorte Feuerwerk nennt.

Mit der Zeit erhält sie eine dreidimensionale Oberfläche mit silbergoldenen, roten und grünen Streifen und macht ihrem Namen auch in geschmacklicher Hinsicht alle Ehre. Genauso wie die Grüne Moldawische, die außerdem zu den robustesten ihrer Art gehört. So oder so: Man darf gespannt bleiben, welche Sorten auch in Zukunft in Frauenkirchen heimisch werden.

www.stekovics.at

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